Verantwortungsübernahmeprozess 

Wir möchten aus unseren Fehlern lernen und uns gemeinsam weiterentwickeln.
Genau darum geht es in der WandelOase Köln und in unser aller Leben.
2021 haben wir uns in einen intensiven Prozess zur Verantwortungsübernahme begeben.
Dieser war für jede*n einzelne*n von und aber auch für uns als Gruppe extrem lehrreich . 

Wie ein solcher Prozess aussieht, was wir gelernt haben und wie der Prozess für uns Alles verändert hat, erfährst du hier.

Wir Alle machen Fehler. Manchmal aus Unwissenheit oder Unfähigkeit richtig hinzuschauen, manchmal aufgrund von emotionalen Verstrickungen oder Überforderung… die Liste der Gründe ist unendlich lang.
Ja… Fehler gehören zum Leben. Man kann nicht alles wissen. Man kann nicht immer alles richtig machen. Manchmal verletzen wir Menschen ohne es zu wollen oder gar wirklich wahrzunehmen. Manchmal möchten wir einer Person helfen und fügen damit einer anderen unwissentlich Leid zu. All das ist menschlich. All das kann passieren.

Das Entscheidende ist, dass man sich nicht hinter Ausreden und Schuldzuschreibungen versteckt und nicht versucht zu rechtfertigen, warum eine Handlung doch ok sein sollte; dass man aus seinen Fehlern lernt; dass man Verantwortung für das eigene Handeln übernimmt!

In diesem Beitrag möchten wir mit euch unsere Erfahrung mit unserem Verantwortungsübernahmeprozess (VÜP) teilen. Wir möchten euch zeigen, was dieser Prozess mit uns gemacht hat und wie er uns geholfen hat uns weiterzuentwickeln und zu lernen.
Wir hoffen mit diesem Beitrag Menschen inspirieren zu können Dinge anders zu handhaben. Anders auf die eigenen Fehler zu schauen und so einen Lernprozess in Gang zu setzen. 

Hintergrund – Wie kamen wir zu dem Verantwortungsübernahmeprozess

Mitte August 2020 wurde ein Vorwurf sexualisierter Gewalt an einen Teil des Kernteams der WandelOase Köln herangetragen. Sowohl die Betroffene als auch der Beschuldigte waren zum damaligen Zeitpunkt in unserer Initiative aktiv.
Wir haben eine Nachricht von der betroffenen Person erhalten. Keine*r von uns war zuvor mit einem solchen Vorwurf konfrontiert, hatte zuvor Betroffenenarbeit geleistet oder sich tiefergehend mit Grenzüberschreitungen und gesellschaftlichen Machtverhältnissen befasst.

In den folgenden Tagen, Wochen und Monaten haben wir versucht, mit der Situation umzugehen. Dabei machten wir viele Fehler. Das meiste unseres Handelns und Bemühens hat das Leid auf allen Seiten gemehrt anstatt es zu verringern.
Erst Monate nachdem der Vorwurf an uns herangetragen wurde, haben wir uns eine professionelle Begleitperson gesucht. Durch Rehzi Malzahn sind wir in Kontakt mit dem VÜP gekommen und beschäftigten uns ausführlich damit.

Wie ging es uns zu Beginn

In den Monaten ohne professionelle Unterstützung ging es uns allen nicht gut. Wir wussten, dass wir an vielen Stellen nicht gut gehandelt hatten… Manche von uns empfanden Scham über ihr eigenes Verhalten und konnten gleichzeitig nicht sehen, was sie hätten anders machen können. Andere empfanden Wut auf sich und andere, auch hier ohne klar sehen zu können wie man diese auflösen könnte.

Wir fühlten uns gefangen in einer ausweglosen Situation. Wir hatten Angst, für unser Handeln und unsere Fehler verurteilt zu werden. Gleichzeitig hatten wir keine Ahnung was wir tun könnten, um die Situation aufzulösen und so einen Heilungsprozess bei allen Beteiligten anzustoßen.  Schließlich suchten wir uns eine professionelle Begleitung: Rehzi Malzahn. Mit ihr haben wir zwei komplette Workshoptage verbracht und in diesem Zuge auch den Verantwortungsübernahmeprozess kennengelernt.

Der Verantwortungsübernahmeprozess

Dieser Prozess besteht im wesentlichen aus 5 Schritten: 

1. Was hab ich getan? Wie kam es dazu?
Welches Motiv hatte ich für mein Handeln bzw. welches Bedürfnis wollte ich mir durch mein Handeln erfüllen?

2. Welche Auswirkungen hatte das auf andere? Welches Leid habe ich damit bei anderen ausgelöst?
Wie geht es mir heute damit?

3. Was tue ich um Ähnliches künftig zu verhindern?
Was haben wir gelernt?

4. Was biete ich an zur Wiedergutmachung?

5. Welche Rolle/Anteil haben gesellschaftliche Machtverhältnisse bei meinen Handlungen und ihren Auswirkungen?

Wir haben zunächst einen Zeitstrahl erstellt und die Tage, Wochen und Monate gemeinsam rekonstruiert. Im Anschluss haben wir Schlüsselmomente identifiziert: Einzelne Handlungen – oder auch Situationen in denen wir nicht gehandelt hatten, es aber hätten sollen -, Aussagen, Nachrichten, Telefonate, Treffen …
Für jeden dieser Schlüsselmomente sind wir dann die 5 Schritte durchgegangen. Dabei gab es Momente die wir zusammengefasst hatten und andere für die wir lediglich einen Teil der Schritte betrachtet hatten.

In dem VÜP geht es insbesondere nicht darum die Handlungen anderer zu beschreiben oder zu bewerten. Oftmals verliert sich unser Verstand in Rechtfertigungen, warum etwas das man selbst getan hat ok war, weil eine andere Person ihrerseits etwas getan hat; beispielsweise war sie nicht fair oder hat einen Fehler gemacht.
All dies wird beim VÜP bewusst ausgeklammert! Man kann nur die Verantwortung für die eigenen Taten übernehmen. Man kann niemanden zwingen Verantwortung für seine*ihre Fehler zu übernehmen… das wäre auch letztlich nicht zielführend.
Es geht darum ganz bei sich zu sein.

Insgesamt ist es essentiell vollkommen ehrlich und aufrichtig zu sein: Was bedauert man wirklich? Und wozu steht man heute noch und würde es heute wieder tun? 

In dem Prozess wird der Fokus auf die eigenen Handlungen, Reaktionen und eben auch Fehler gelenkt. Dabei ist es sehr heilsam Mitgefühl und Nachsicht auch mit sich selbst zu zeigen. Die eigenen Gefühle und Bedürfnisse zu betrachten hilft dabei zu erkennen, dass man nicht aus Böswilligkeit gegenüber jemand anderen gehandelt hat, sondern um eigene Bedürfnisse oder die einer anderen Person zu erfüllen. Dass man letztendlich einen Fehler gemacht hat, dies aber beispielsweise durch Fürsorge – zu sich selbst oder jemand anderen – motiviert war. Dies schmälert die eigene Verantwortung nicht im geringsten. Doch es hilft dabei sich selbst nicht zu verurteilen und die Situation aus einer anderen Perspektive zu sehen.

Und ja… dieser Prozess kann sehr schmerzhaft und extrem schwierig sein.
Es kann herausfordernd sein anzuerkennen, dass man selbst Dinge getan oder nicht getan, gesagt oder nicht gesagt hat, die nicht so recht zu dem eigenen Selbstbild passen wollen. Dass man jemand anderem Leid – mitunter sehr viel Leid – zugefügt hat, ohne das bewusst zu wollen.

Doch eines darf man dabei nicht vergessen: Ein Fehler, oder gar eine Reihe von Fehlern, definiert niemals einen Mensch. Wir können Fehler betrachten ohne dabei einen Menschen als “Falsch” zu kategorisieren. Wir können Taten verurteilen ohne den Menschen zu verurteilen. 

Unser eigener Prozess

Für uns war der VÜP sehr heilsam. Wie bereits beschrieben waren wir zu Beginn völlig überfordert. Ein Rückblick auf das eigene Handeln hat Scham, Schuld und Wut ausgelöst.
Im Laufe des Prozesses haben wir sehr viel reflektiert und gemeinsam viele Erkenntnisse gehabt. Wir waren in der Lage unsere Handlungen und die gemachten Fehler in unsere eigenen Persönlichkeitsbilder zu integrieren. Die Taten waren nicht mehr als hätte eine fremde Person sie ausgeführt, zu der man selbst keinen Bezug hat. Sie wurden ein Teil von uns. Etwas zu dem wir bedingungslos stehen können. Etwas für das wir die volle Verantwortung übernehmen, für das wir uns nicht mehr schämen.

Dies hat letztlich eine tiefgehende Heilung bei uns Allen bewirkt.

Abschließende Worte

Im Laufe dieses Prozesses ist es wichtig nicht zu vergessen: Wir Menschen dürfen widersprüchlich sein – wie Rehzi Malzahn immer so schön sagt. Wir sind komplexe Wesen. Weder gut noch schlecht. Wir sind alles zwischen diesen Polen… alles Gute und alles Schlechte und all das gleichzeitig.
Fehler machen uns nicht zu schlechten Menschen. Doch es ist problematisch so zu tun als hätten wir sie nicht gemacht. Es ist problematisch das Leid, welches wir auslösen auszublenden oder gar zu verleugnen – ob beabsichtigt oder nicht. 

Wir können nur jedem empfehlen sich auf diese Reise zu begeben. Sie ist unglaublich tiefgehend und lehrreich. Sie bringt euch näher zu euch selbst und den Menschen um euch herum. Sie kann unendlich heilend sein.
Wenn du/ihr Interesse daran habt selbst einen VÜP zu machen, dann meldet euch gern bei uns oder direkt bei Rehzi Malzahn denn eins ist gewiss: Ihr müsst diese Reise nicht alleine machen! Es gibt Menschen, die euch unterstützen und begleiten können. 

Wir wünschen euch alles Liebe,
Rezan, Flo, Fuss, Denise, Alina und Helena